anwaltfinden.at: Herr Dr. Bartl, bitte stellen Sie sich und Ihren Werdegang kurz vor.
Ich bin seit 1987 selbstständiger Rechtsanwalt in Graz. Zurzeit führe ich meine Kanzlei mit 3 jüngeren Partnern. Ich habe mich schon sehr früh mit Erbrecht befasst und bereits seit 10 Jahren bin ich auf diese Rechtsmaterie spezialisiert. Daneben bin ich auch noch im Wirtschafts- und Wirtschaftsstrafrecht tätig. Weiters habe ich rege Vortragstätigkeit im Rahmen der Anwaltsakademie und bin außerdem Anwaltsrichter beim Obersten Gerichtshof in Disziplinarsachen für die RechtsanwältInnen und RechtsanwaltsanwärterInnen.
anwaltfinden.at: Sie sind unter anderem Experte für Erbrecht. Warum haben Sie sich für diese Spezialisierung entschieden?
Mich hat dieser Bereich des Zivilrechts immer schon extrem fasziniert. Das liegt einerseits an der Kreativität, die benötigt wird, um bei Übergaben unter Lebenden (Firmenweitergaben, Übergaben von Haus und Hof in der Landwirtschaft oder von Einfamilienhäusern an die nächste Generation) das Richtige für die Klienten zu tun. Andererseits begeistern mich hier Vertretungen in und Abwicklung von Verlassenschaftsverfahren und vor allem immer wieder die Geltendmachung und Abwehr von Pflichtteilsansprüchen. Das sind wirklich herausfordernde Rechtsmaterien. Durch die Novellierung des Erbrechts im Rahmen des Erbrechtsänderungsgesetzes 2015 finden sich eine ganze Reihe von Problemstellungen, zu denen es noch kaum Judikatur gibt sowie spannende neue Judikatur, die in der Form nicht erwartet wurde. Das Ganze macht die Sache äußerst herausfordernd und interessant.
anwaltfinden.at: Pflegevermächtnis: Was darf der Otto-Normal-Verbraucher darunter verstehen?
Das Pflegevermächtnis hat der Gesetzgeber mit 01.01.2017 durch die Erbrechtsnovelle im geltenden Recht verankert. Damit wurde endlich eine Rechtsgrundlage für jene Personen geschaffen, die dem Erblasser zwar nahestehen, aber letztlich nichts erben, und die in den letzten 3 Jahren vor seinem Tod erhebliche Pflegeleistungen erbracht haben. Wenn diese Pflegeleistungen unentgeltlich erbracht worden sind, dann ist der Betroffene bisher „durch den Rost gefallen“. Es gab zwar Möglichkeiten, die Leistungen geltend zu machen, aber das war schwierig und in der Judikatur teilweise widersprüchlich gelöst. Jetzt hat der Gesetzgeber für nahestehende Personen, die in den letzten 3 Jahren vor dem Tod des Erblassers solche Pflegeleistungen – oft in aufopfernder Art und Weise und unter Beeinträchtigung der eigenen Lebensführung – erbracht haben, einen Anspruch geschaffen, der im Gesetz reguliert ist.
anwaltfinden.at: In welchen Fällen werden Pflegeleistungen beim Erben berücksichtigt? Wann nicht?
Wenn einer dem Verstorbenen nahestehender Mensch in den letzten 3 Jahren vor seinem Tod mindestens 6 Monate, die nicht aufeinanderfolgend sein müssen, diesen in nicht bloß geringfügigem Ausmaß gepflegt hat, somit mindestens 20 Stunden pro Monat, dann gibt es dafür ein gesetzliches Vermächtnis, soweit er dafür kein Entgelt erhalten hat.
Unter Pflege ist dabei jede Tätigkeit zu verstehen, die dazu dient, einer pflegebedürftigen Person die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern. Das können Tätigkeiten wie Einkaufen gehen sein, aber auch Pflegeleistungen im engeren Sinne (Waschen, Pflegen, Einschmieren, Tabletten geben etc.) sind hierunter zu verstehen. All das wird jetzt abgegolten. Unter nahestehenden Personen versteht der Gesetzgeber den Kreis der gesetzlichen Erben des Verstorbenen, den Ehegatten, den eingetragenen Partner, den Lebensgefährten, aber auch die Kinder des Lebensgefährten. Damit ist aber auch klargestellt, dass Pflegeleistungen, die mehr als 3 Jahre vor dem Tod erbracht worden sind, nicht berücksichtigt werden können.
anwaltfinden.at: Wie wird festgestellt, ob das Pflegevermächtnis zur Anwendung kommen kann?
Dazu ist zunächst der Notar oder Rechtsanwalt da, der den Verlass abhandelt. Er wird mit den Erben und dem Anspruchssteller versuchen, einen Vergleich herbeizuführen. Dazu ist es notwendig, dass der Anspruchssteller diesen Anspruch auch geltend macht, am besten in schriftlicher Form und im Verlassenschaftsverfahren. Hierfür muss er aufschlüsseln und detailliert darstellen, wie lange und welche Pflegeleistungen er erbracht hat und dass er dafür kein Entgelt erhalten hat. Wer solche Ansprüche geltend machen will, sollte dies möglichst bald schriftlich im Verfahren machen und sich dabei bestenfalls von einem Rechtsanwalt unterstützen zu lassen.
Im Verfahren selbst muss dann bewiesen werden, dass die Pflegeleistungen tatsächlich erbracht wurden und welches Ausmaß diese gehabt haben. Daher empfiehlt es sich, während der Erbringung dieser Leistungen bereits hierzu Aufzeichnungen zu führen. Auch andere nahestehende Personen können als Zeugen Auskunft im Gerichtsverfahren geben. Interessant ist bei der Feststellung solcher Ansprüche immer, dass bei Gutachten im Pflegegeldverfahren der Pflegebedarf objektiv festgehalten wird. Das kann der Anspruchssteller gut für die Beweisführung verwenden.
anwaltfinden.at: Macht es einen Unterschied, ob die pflegende Person zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehört?
Im Prinzip nein. Das spielt für den Anspruch selbst keine Rolle. Allerdings kann der Erblasser durch letztwillige Verfügung die Anrechnung auf den Erbteil verfügen. Eine Anrechnung auf den Pflichtteil ist nicht möglich. Der Pflichtteilsberechtigte muss zusätzlich zum Pflichtteil auch das Pflegevermächtnis erhalten.
anwaltfinden.at: Welche Pflegeleistungen werden konkret anerkannt? Reicht z.B. psychischer Beistand aus?
Psychischer Beistand ist ein weiter Begriff. Einmal im Monat anrufen und Mut zusprechen wird nicht ausreichen. Außerdem ist klar, dass die Pflegeleistungen einen gewissen zeitlichen Mindestaufwand erfordern müssen, damit sie abgeltungsfähig sind. Unter 20 Stunden pro Monat wird das nicht möglich sein. Rein psychischer Beistand – Vorlesen, Besuchen – wird hier nicht genügen. Aber in Verbindung mit körperlichen Pflegeleistungen, wie Körperpflege, Hilfe beim Anziehen und der Nahrungsaufnahme, Unterstützung bei der Mobilisierung, Einkäufe erledigen, sieht das anders aus. Das sind die typischen Pflegeleistungen, die abgeltungsfähig sind und der Gesetzgeber auch als solche versteht.
Interessant ist, dass es überwiegende Rechtsansicht ist, dass der Anspruchssteller Anspruch auf Ersatz hat, wenn er für professionelle fremde Hilfe auf eigene Kosten gesorgt hat. Beispiel: Der Sohn organisiert eine 24-Stunden-Hilfe und zahlt dafür. Dann hat er auch Anspruch auf das Pflegevermächtnis.
anwaltfinden.at: In welcher Höhe fällt das Pflegevermächtnis im Erbgang aus?
Im Prinzip wird das wie ein Stundenlohn behandelt. Es wird hier von 10-15 € / Stunde für die Pflege ausgegangen. Das Gesetz hat hier nichts vorgegeben. Es wird spannend sein zu sehen, wie die Judikatur dies in Zukunft noch genauer ausgestaltet. Ich würde auch empfehlen, sich anwaltlicher Hilfe zu bedienen. Das Thema ist durchaus komplex und schwierig, daher ist dies unbedingt anzuraten.
anwaltfinden.at: Wie kann mich ein Anwalt bei der Geltendmachung des Pflegevermächtnisses unterstützen?
Zuallererst wird geprüft, ob die gesetzlichen Voraussetzungen überhaupt erfüllt werden: Ist der Anspruchssteller eine nahestehende Person? Hat er in den Bezug habenden Zeiträumen, also in den letzten 3 Jahren, mehr als 6 Monate solcher Leistungen erbracht? Ist diese Mindesterfordernis an Leistungen (also 20 Stunden pro Monat) erbracht worden oder scheidet von vornherein ein Anspruch aus? Gab es ein Entgelt oder eine Entgeltsvereinbarung oder wurden die Leistungen unentgeltlich erbracht? Ist im Verlassenschaftsverfahren für den- oder diejenigen vom Erblasser für die Pflege etwas vorgesehen worden oder nicht? All das muss der Anwalt prüfen. In Hinblick auf die Komplexität und Schwierigkeit dieser Thematik ist es aus meiner Sicht auf jeden Fall sinnvoll, sich hier beraten zu lassen.
anwaltfinden.at: Ich möchte sichergehen, dass meine Pflegeleistung auch wirklich im Erbe berücksichtigt wird. Welchen Tipp können Sie hier mitgeben?
Wer Pflegeleistungen für einen Angehörigen oder eine nahestehende Person erbringt, sollte dies in einem Tagebuch kurz notieren. Das Beste wäre, mit der gepflegten Person eine Einigung zu erzielen und darum zu ersuchen, im Testament bedacht zu werden. Natürlich sind Aufzeichnungen jedenfalls hilfreich. Besonders dann, wenn abzusehen ist, dass mit den Erben oder den Pflichtteilsberechtigten kein Einvernehmen erzielt werden kann. Daher ist es hilfreich, bereits während der Erbringung der Pflegeleistungen Rücksprache mit einem Anwalt zu halten. Eine kurze Beratung genügt hier. Der Anwalt kann dann einschätzen, wie Aufzeichnungen geführt werden sollten. Zum Beispiel wäre es auch optimal, wenn der Gepflegte die Leistungen mit einer Unterschrift bestätigt. Auf diese Weise kann sichergegangen werden, dass im allfälligen Verfahren ausreichend Beweise vorhanden sind. Der Anspruch ist im Verlassenschaftsverfahren anzumelden. Falls keine Einigung erzielt werden kann, muss dieser gerichtlich geltend gemacht werden.
Vielen herzlichen Dank für das Gespräch!
Dr. Peter Bartl – der erfahrene Erbrechtsexperte an Ihrer Seite
Sie sind überzeugt, Anspruch auf ein Pflegevermächtnis zu haben und auf der Suche nach dem richtigen Anwalt? Sie möchten Ihre erbrachten Pflegeleistungen von einem Experten prüfen lassen? Sie benötigen rechtlichen Beistand im Verlassenschaftsverfahren? Oder Sie haben Fragen zu einer ganz anderen erbrechtlichen Thematik? Dr. Peter Bartl ist langjähriger Rechtsanwalt mit Kanzlei in Graz. Mit über 30 Jahren Erfahrung im Erbrecht hat er bereits zahlreiche Klienten erfolgreich begleitet und unterstützt. Als Experte für alle Belange rund um das Erbrecht, aber auch das Wirtschafts(straf-)recht bietet er auch Ihnen gerne eine Erstberatung an. Kontaktieren Sie die Kanzlei von Dr. Peter Bartl, um sich die bestmögliche rechtliche Unterstützung zu sichern!
Weitere Informationen sowie Kontaktdaten finden Sie auf dem Profil von Dr. Peter Bartl auf anwaltfinden.at.