anwaltfinden.at: Frau Dr. Venturini, bitte stellen Sie sich und Ihren Werdegang unseren Usern vor.
Mein Name ist Dr. Kristina Venturini und ich bin seit 21 Jahren selbstständige Rechtsanwältin. Begonnen habe ich mit einer Kanzlei in Laa an der Thaya und bin auf die Idee gekommen, mich auf das Thema Gewalt zu spezialisieren. Es gibt noch sehr viele unterdrückte Frauen – wie natürlich auch Männer – und ich arbeite im Hinblick darauf in den Bereichen Strafrecht, Familienrecht und Scheidungen. Ich habe sehr viel Freude an meinem Beruf, weil ich den Menschen dadurch wirklich helfen kann.
anwaltfinden.at: Das Strafrecht ist aufgrund seiner Vielseitigkeit und Diversität ein überaus komplexes Thema. Weshalb haben Sie sich im Laufe Ihrer Karriere darauf spezialisiert?
Weil es einen sehr kreativen Bereich innehat. Gerade im Strafrecht spielt Kreativität eine große Rolle, weil jeder Fall anders ist. Außerdem ist es unglaublich spannend, da hinter jedem Handeln ein Motiv steckt, das es zu ergründen gilt. Die Möglichkeit Menschen in sehr verzwickten Lebenslagen mit meiner Kreativität zu helfen, gefällt mir unglaublich gut.
anwaltfinden.at: Was hat für Sie bei der Behandlung von strafrechtlichen Fällen höchste Priorität?
Priorität hat für mich immer das Opfer bzw. die/der Betroffene. Meinen KlientInnen aus ihrer Misere herauszuhelfen, ist für mich das Wichtigste. Selbst wenn ich jemanden vertrete, der eine Bank überfallen hat, dann hat diese Person ein Motiv, wie beispielsweise zu wenig Geld, um ihren Kindern Essen kaufen zu können. Ich versuche alle Blickwinkel miteinzubeziehen.
anwaltfinden.at: Inwiefern definiert das Gesetz häusliche Gewalt?
Häusliche Gewalt ist ein sehr weitgehender Begriff, denn man unterscheidet hier zwischen körperlicher, sexueller, psychischer und wirtschaftlicher Gewalt.
Körperliche Gewalt beinhaltet unter anderem würgen, beißen, schütteln und schlagen.
Sexuelle Gewalt ist immer ein Verstoß gegen die sexuelle Selbstbestimmung, das geht von der Nötigung Sex zu haben bis hin zur Vergewaltigung. Der Zwang zur Prostitution fällt auch unter sexuelle Gewalt.
Bei der psychischen Gewalt kann es sein, dass man Menschen durch Schweigen missachtet, in die Isolation treibt, den Kontakt zu anderen Personen verbietet oder sie beschimpft und demütigt. Die psychische Gewalt ist schwerer zu beweisen, weil es keine äußerlich sichtbaren Verletzungen gibt, sondern seelische.
Die wirtschaftliche Gewalt kommt tatsächlich noch vor, denn es gibt beispielsweise immer noch Männer, die ihren Frauen verbieten, arbeiten zu gehen. Sie werden von ihren Ehemännern abhängig gemacht, indem sie kein eigenes Geld verdienen dürfen.
anwaltfinden.at: Welche Beweislage muss vorliegen, um häusliche Gewalt anzeigen zu können bzw. mit einer gewissen Sicherheit anzeigen zu können?
Bei der körperlichen Gewalt ist es am besten, wenn man Fotos vom blauen Fleck, der Schürfwunde oder sonstigen Verletzungen anfertigt.
Die sexuelle Gewalt kann man nur durch eine Einvernahme der Person und einer Schilderung des Tatvorganges beweisen. Bei einer Vergewaltigung gebe ich den Tipp, sofort in ein Krankenhaus zu gehen oder einen Frauenarzt aufzusuchen.
Die psychische Gewalt ist, wie gesagt, am schwierigsten zu beweisen. Ich rate den Betroffenen Tagebuch zu führen und Situationen, in denen man gedemütigt oder beschimpft wird, zu filmen oder aufzunehmen. Die Aufnahme per se ist nicht verboten, man muss sie jedoch als Gedächtnisprotokoll abschreiben, da die Aufnahme nicht vor Gericht abgespielt werden darf.
Den Beweisvorgang der wirtschaftlichen Gewalt erkläre ich gerne mit einem Beispiel: Erst kürzlich hatte ich eine Klientin, die ihren Gehalt am Monatsende regelmäßig an ihren Ehemann abgeben musste. Sie musste monatlich all ihr selbst verdientes Geld an ihren Gatten überweisen. Dieser Fall könnte beispielsweise durch Bankauszüge bewiesen werden.
anwaltfinden.at: Wie sieht das Rechtsurteil bei einer Schuldigsprechung im Bereich der häuslichen Gewalt aus?
Erstatte ich eine Anzeige gegen häusliche Gewalt, gibt es die Option einer grob unmittelbaren Gewalt. Hier wird die Polizei verständigt und die Person, von der die Gewalt ausgeht, wird nach dem Sicherheitspolizeigesetz der Wohnung verwiesen. Im Anschluss kommt es zu einer Strafanzeige, die Staatsanwaltschaft wird eingeschaltet und als Opfer kann man daraufhin Schmerzensgeld verlangen.
Hierbei ist es wichtig zu beachten, dass man – laut dem Sicherheitspolizeigesetz – innerhalb von zehn Tagen den Verweis des gewalttätigen Partners beim Bezirksgericht verlängern lässt, weil der Schutz sonst wegfällt. Das Zivilgericht trifft daraufhin die Entscheidung, ob dieser Schutz tatsächlich verlängert wird, weil es auch schon häufig vorgekommen ist, dass er missbraucht und der Partner ungerechtfertigt angezeigt wurde.
anwaltfinden.at: Das Gerichtsurteil fällt im Sinne des Angeklagten aus: Womit sollte das Opfer nun rechnen bzw. was würden Sie Betroffenen raten?
Gelingt es dem Opfer beispielsweise nicht, die psychische Gewalt nachzuweisen, hat es die Möglichkeit eine einstweilige Verfügung beim Bezirksgericht zu beantragen. Das Problem ist jedoch, dass man in dieser Phase noch mit dem Täter zusammenlebt. Man kann natürlich für diese Zeit woanders wohnen, oder man reicht – wenn man verheiratet ist – einen Antrag auf gesonderte Wohnungsnahme ein. So ist man auch für die Scheidung abgesichert, nicht aufgrund böswilligen Verlassens angeklagt zu werden. Viele Opfer haben vor diesem Schritt leider Angst. Daher empfehle ich schon im Vorhinein zu einer Freundin zu ziehen, um sich selbst und seine Gesundheit zu schützen.
anwaltfinden.at: Inwiefern ändern sich Fälle häuslicher Gewalt, wenn Kinder involviert sind?
Sollten Kinder involviert sein, dann muss man beantragen, dass sich der Täter auch von ihnen fernhält. Vergisst man das, hat man nur als Frau den Schutz, der Täter dürfte sich jedoch den Kindern annähern. Ich empfehle es sehr, zum Jugendamt zu gehen, den Fall dort zu schildern und in sehr schweren Fällen ein begleitendes Kontaktrecht zu beantragen. Wichtig ist, dass man bei der Wegweisung auch die Kinder miteinbezieht. Sobald Kinder involviert sind, sind die RichterInnen sehr viel sensibler, da das Wohl der Kinder im Mittelpunkt steht.
anwaltfinden.at: Gibt es Organisationen, die Sie Menschen in einem gewalttätigen Umfeld unbedingt empfehlen würden?
Ich empfehle sehr die Gewaltschutzzentren. Außerdem gibt es Interventionsstellen in jedem Bundesland. Das sind gesetzlich vorgeschriebene und staatlich finanzierte Einrichtungen, die darauf spezialisiert sind, Opfer von Gewalt und Stalking zu unterstützen. Dort kann man auch Beratungen durch Psychologen in Anspruch nehmen.
Besonders wenn man als Opfer nicht in der Lage ist, sich einen Anwalt zu leisten, kann man sich in Frauenhäusern bzw. Männerhäusern und Gewaltschutzzentren melden, um eine unentgeltliche rechtliche Vertretung zu erhalten.
anwaltfinden.at: Welchen Rat würden Sie Frauen/Männern/Kindern in einem gewalttätigen Haushalt geben, um sich zu schützen?
Ich empfehle stark, sich allumfassend rechtlich beraten zu lassen, bevor man den ersten Schritt setzt – solange die körperliche Gesundheit oder das eigene Leben nicht in Gefahr sind. Wenn man es sich leisten kann, sollte man zu Verwandten oder Freunden ziehen, um aus dem gewalttätigen Haushalt herauszukommen.
Natürlich kann es dadurch zu einem Vorwurf des böswilligen Verlassens kommen, doch ich verfolge den Grundsatz, dass es besser ist auszuziehen, bevor man sich selbst oder sogar Kinder gefährdet.
anwaltfinden.at: Wie können Sie, als Rechtsexpertin im Strafrecht, Opfer häuslicher Gewalt unterstützen?
Neben den rechtlichen Schritten, die ich in die Wege leite, habe ich ein wirklich gutes Team und gute Kontakte zu Psychologen, Mediatoren und Coaches. Ich versuche mit meinen KlientInnen gemeinsam herauszufinden, ob es Schutzmöglichkeiten bei der Familie oder bei Freunden gibt.
Außerdem berate ich meine KlientInnen nicht nur rechtlich, sondern begleite sie auch psychologisch, sodass sie gestärkt aus dieser Situation herausgehen und nicht wieder zum Opfer werden.
Ich rate jedem, sich über die eigenen Rechte und Möglichkeiten zu erkundigen und zu informieren.
Vielen Dank für das Interview
Dr. Kristina Venturini – Ihre fachliche Expertin im Strafrecht
Haben Sie ein strafrechtliches Belangen, zu dem Sie gerne einen Rat einer Rechtsanwältin mit Expertise hätten? Oder wollen Sie sich grundlegend zu ihren Rechten informieren? Dr. Kristina Venturini ist die richtige Ansprechperson. In ihrer Kanzlei in 1010 Wien empfängt sie Sie gerne zu einem aufschlussreichen Erstgespräch und bespricht mit Ihnen all Ihre Fragen. Mehr Informationen sowie Kontaktdaten finden Sie auf dem Profil von Dr. Kristina Venturini auf anwaltfinden.at.